Donnerstag, 20. September 2007

MIETHKE


Von MARKUS HARMANN

und THILO FOLESKY (Fotos)

Ulrich Miethkes altes Leben steckt in einer blauen Plastiktüte von Tchibo. Mit seiner linken Hand umklammert der 57-Jährige den Griff der Tüte. Die Uniform darin - sie ist die Montur eines Hauptmanns der Staatssicherheit, zuständig für die Passkontrolle am Grenzübergang Drewitz.

Vor 17 Jahren endete Miethkes altes Leben schlagartig. Mit der Wende wurde der Passkontrolleur der DDR nicht mehr gebraucht. 20 Jahre lang hatte er sich die Pässe der Reisenden aus West-Berlin und der Bundesrepublik zeigen lassen. Er war ein pflichtbewusster Befehlsempfänger an Europas damals größtem Grenzübergang. "Ich hatte ein aufregendes, ein privilegiertes Leben", sagte er. Im November 1989 war dann plötzlich alles vorbei. "Alles änderte sich." Und für ihn lief es fortan nicht mehr besonders gut.

Jetzt, nach beinahe zwei Jahrzehnten, steht Miethke wieder hier in Drewitz. Von der riesigen Grenzstelle ist nur ein bröckelnder Wachturm geblieben (siehe Kasten). Die gewaltigen Abfertigungshallen - spurlos verschwunden. Wo früher im Schnitt 2500 Fahrzeuge am Tag anstanden, thront heute die Deutschland-Zentrale von Ebay.

Miethke hat einen kräftigen Händedruck, sein Gesicht trägt tiefe Falten, seine tiefblauen Augen blicken stechend. Ohne weiteres, sagt er, würde er seine alte Uniform noch einmal anziehen. Auch hier, an der alten Grenze. "Wir haben hier niemanden schikaniert, auch wenn heute manchmal anderes behauptet wird", rechtfertigt er sich. Miethke, einer der vielen Unverbesserlichen, der von dem Schrecken nichts hören will, den er und seine Kollegen verbreiteten.

In seiner ideologisch verklärten Erinnerung wird die deutsch-deutsche Grenze zum Spielplatz amüsanter Anekdoten. Im Plauderton erzählt er, dass er sich immer an den Grundsatz seiner Oma gehalten habe: Gehe vernünftig mit den Leuten um, dann sind die auch nett zu Dir.

Den Spruch der Großmutter verdrehte Miethke zu einer fürchterlichen Bestechungsmoral. Wenn er einen Reisebus kontrollierte, legte er vorn, auf dem Armaturenbrett seine Dienstmütze ab - mit der Innenseite nach oben. "Wenn ich zurückkam, lagen ein paar Kümmerlinge oder etwas Schokolade in der Mütze." Ob die kleinen Präsente die Abfertigung beschleunigt haben? "Sie haben sich zumindest nicht nachteilig ausgewirkt", sagt er und schmunzelt. So spricht einer, der die Macht, den die Stasi-Uniform verlieh, genoss - ganz offensichtlich.


Miethke führte ein angenehmes Leben, er verdiente 2000 Mark plus Sonntagszuschlag, fuhr mit einem Trabbi Deluxe aus Potsdam zur Schicht an der Grenze.

Dort warteten fast täglich Prominente auf ihre Weiterfahrt, die er aus dem Radio oder dem West-Fernsehen kannte. Er kontrollierte Walter Momper und Eberhard Diepgen, Freddy Quinn und Trude Herr.

Einmal auch den Tourbus der Rolling Stones auf dem Weg in die Waldbühne. "Irgendwann hieß es, da sitze ein Herr Michael Jagger im Bus." Miethke war aufgeregt, er traf sein Idol. Leider, sagt Miethke, schrieb der Stones-Frontman keine Autogramme.

Ulrich Miethke, der Grenzgänger. Als Hauptmann verteidigte er ein System, das seinen Bürgern Stones-Platten nicht erlaubte. Er selbst aber hatte das Privileg, die britischen Musiker um Autogramme zu bitten. Paradox finde er das nicht. Sagt er. War es die Nähe zur Macht, die ihn faszinierte, die ihn vielleicht sogar verführte? Weil Schlagersänger Christian Anders ("Es fährt ein Zug nach Nirgendwo") keine Autogramme geben wollte, ignorierten die Grenzer ihn. "Wir taten so, als würden wir nicht wissen, wer er ist. Das hat ihn gekränkt", feixt Miethke. Und plötzlich ist da Häme. Und die verrät, dass der sanft-freundliche Miethke wohl auch anders kann. Am Tag der Wiedervereinigung wurde seine Einheit aufgelöst. Er heuerte bei der Telekom an - und wurde auch dort abgewickelt. Auch als Wachmann hatte er kein Glück. Er ist arbeitslos, jobbt gelegentlich in einem Kaufhaus.

Wenn er geflohen wäre, dann an einem Sonntag

Er wirkt trotzdem nicht unzufrieden, wie er da so steht, die Tchibotüte fest im Griff.

Das Logo des großen westlichen Kaffeekonzerns auf der Tüte und die alte Stasi-Uniform darin. Zwei Welten, zwischen denen sich auch das Leben von Miethke bewegt. Fühlt er eine Mitverantwortung für die menschenverachtende Grenz-Politik des DDR-Regimes? "Nein" antwortet er, ohne lange zu überlegen. "So war das eben damals." Dann erzählt er von dem Mann, dem die Flucht gelang, weil er neben einem Lkw her rannte und die Grenzer ihn auf der anderen Seite des Fahrzeugs nicht sehen konnten.

Er spricht lauter und erzählt die Geschichte so, als sei sie eine persönliche Niederlage für ihn gewesen. "Der Mann hat seine Flucht einer Zeitung erzählt, die dann darüber berichtet hat. Wir haben noch Monate nach ihm gesucht, weil wir ja dachten, er käme vielleicht als Transitreisender wieder über die Grenze."


Ein Republik-Flüchtling hat ihn, den Grenzer, ausgetrickst. Irgendwie ärgert sich Miethke darüber noch heute.

Ob er jemals selbst versucht war, in den Westen zu türmen? "Nein, was hätte ich da machen sollen? Ich hätte doch wahrscheinlich keine Arbeit gefunden."

Und wenn er hätte fliehen wollen, wie hätte er es gemacht?

"Dann, wenn dichter Verkehr war. Rückreiseverkehr. Da wurde nicht so genau kontrolliert, das wusste nur keiner." Er hält kurz inne, sagt dann: "Ich wäre an einem Sonntagabend geflohen."

3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Wirklich schöner Artikel.
Jedoch hat der Artikel die typische Art an Propaganda inne. Mein Vater hat 1991 den Führerschein gemacht. Demzufolge konnte er nicht mit einem Trabbi "DELUXE" zur Arbeit fahren.
Diese Tatsache soll exemplarisch für die Publikation des Journalisten stehen.

Thilo Folesky hat gesagt…

Danke für den Hinweis

Anonym hat gesagt…

Gerade den Herrn in einer Reportage zu Dreilinden gesehen. 2.000 Mark der DDR plus Zulagen?
Mein Vater hatte als Ingenieur 1.200 Mark...
Mein Onkel, Zöllner in Staaken, kokettierte auch damit irgendwelche "Tittenzeitungen" etc. zugesteckt bekommen zu haben.
Man darf nie vergessen - JEDER war ein potentieller Mörder und, so die Erzählungen meiner Eltern, Großeltern oder Westverwandten, ein übles Charakterschwein, dass uns 16 Mio mit diebisxher Freude gefangen hielt..